Autorin: Michaela Kürschner. Artikel vom 4.6.2013 – ursprünglich erschienen bei der Innovationsagentur für IT und Medien Baden-Württemberg.
Jahrzehntelang hieß es, dem Schwaben gehe nichts über sein Häusle und sein heiligs Blechle. Nun verleihen auch im Südwesten der Republik immer mehr Menschen ihren Wohnraum oder ihr Auto an vollkommen Fremde. Zugegeben: Es sind nicht der klassische Häuslebauer und der bodenständige C-Klasse-Fahrer, die ihr Eigentum auf Plattformen wie Airbnb.de oder Autonetzer.de feilbieten. Trotzdem findet die „Share Economy“, die vom Time Magazine und von den Machern der CeBIT zum Trend des Jahres 2013 gekürt wurde, auch in Baden-Württemberg immer mehr Anhänger.
Das bewies der Themenabend „Share Economy“, zu dem mehrere Sharing-Anbieter unlängst nach Stuttgart geladen hatten – unter ihnen Coworking0711, Leihdirwas.de, Autonetzer.de und Airbnb.de aus Baden-Württemberg. Allen gemeinsam ist, dass sie offenbar einem Bewusstseinswandel in der Bevölkerung Ausdruck verleihen. Daniel Bartel, Sprecher von KoKonsum.org, einer Community für Anhänger des „Kollaborativen Konsums“, formuliert es so: „Das 20. Jahrhundert war geprägt von Ansehen, Werbung und Eigentum, heute geht es den Menschen eher um Reputation, Gemeinschaft und um eine sinnvolle Nutzung von Ressourcen.“ Auch wenn laut einer Studie der Leuphana Universität Lüneburg im Auftrag von Airbnb bislang erst ein knappes Viertel der Bevölkerung zu den sogenannten „sozialinnovativen KoKonsumenten“ zählt, so steht doch fest: Für viele, vor allem jüngere Menschen, ist der traditionelle Konsum wenig verlockend.
10 bis 15 Prozent des Rechnungsbetrags gehen an Betreiber
Neben einem Umdenken bei den Konsumenten spielt den Betreibern von Plattformen wie Leihdirwas und Autonetzer natürlich auch das Internet in die Karten. Dank moderner Internet-Technologie können sie mit vertretbarem Aufwand Tauschbörsen und Smartphone-Apps realisieren, auf die Nutzer aus ganz Deutschland und aus allen Teilen der Welt zugreifen können. Denn wer mit dem Tauschen Geld verdienen will, braucht eine gewisse kritische Masse an Mitgliedern: Zum einen weil ein Tauschring nur dann funktioniert, wenn das Verhältnis von Angebot und Nachfrage sich in etwa die Waage hält, zum anderen weil die meisten Betreiber ihr Geld auf Provisionsbasis verdienen – das heißt, bei jeder Transaktion 10 bis 15 Prozent vom Rechnungsbetrag erhalten.
Gleichwohl ist es nicht nötig und wohl auch nicht möglich, alle Deutschen von den Vorzügen des gemeinschaftlichen Konsums zu überzeugen. Es wird immer Menschen geben, die aus den verschiedensten Gründen lieber ihr eigenes Auto kaufen und es auch mit niemandem teilen möchten. Aber, so Daniel Bartel: „Damit ein KoKonsum-Angebot funktioniert, muss man keine Massen mobilisieren.“ Und er erklärt seine These am Beispiel Auto: In Deutschland gibt es 42 Millionen Privatautos. Wenn nur ein Prozent aller PKW-Besitzer sein Eigentum mit anderen teilt, entsteht eine Flotte von 420.000 Fahrzeugen.
Autos und Wohnungen sind die begehrtesten Leihobjekte
Bei Autonetzer.de, einer Plattform für privates Carsharing, können die insgesamt 25.000 registrierten Nutzer derzeit aus über 3.500 Privatfahrzeugen wählen. Damit verfügt das Stuttgarter Unternehmen über den größten Fahrzeug-Pool aller Anbieter für privates Carsharing. „Da der Großteil unserer Mitglieder nur hin und wieder ein Auto benötigt, hat bisher noch jeder ein passendes Fahrzeug gefunden“, erklärt Michelle Urban, Pressereferentin von Autonetzer.
Etwas weniger Auswahl haben im Moment noch Besucher, die nach Stuttgart kommen und sich jenseits der ausgetretenen Touristenpfade ein privates Zimmer über Airbnb.de mieten wollen. 200 Listings, also angebotene Zimmer und Wohnungen, gibt es aktuell in Stuttgart. Zum Vergleich: In Berlin werden 8.000 Unterkünfte angeboten. Doch auch in der Landeshauptstadt sollen es nach dem Willen von Airbnb bald mehr werden. Schließlich hat es auch in den USA, wo Airbnb gegründet wurde, ein Weilchen gedauert, bis das Vermieten von Privatzimmern und -wohnungen sich etabliert hat. „Airbnb gibt es seit 2008“, erklärt Lena Sönnichsen, Pressesprecherin von Airbnb Deutschland. „Wir haben in den letzten vier Jahren insgesamt vier Millionen Gäste an Privatpersonen vermittelt, davon allein drei Millionen im Jahr 2012.“ Soll heißen: Es braucht Zeit, um den Wohnungstausch bekannt und salonfähig zu machen und um das nötige Vertrauen aufzubauen.
Vertrauen ist gut, Garantien sind besser
Und um Vertrauen geht es schließlich bei allen Sharing-Geschäften. Ob ich jemandem meine Bohrmaschine oder meine Wohnung überlasse: Ich möchte sie am Ende so zurückbekommen, wie ich sie verliehen habe. Anders als häufig angenommen müssen sich die Eigentümer der Leihobjekte sehr selten mit kaputten Werkzeugen oder verwüsteten Wohnungen herumschlagen. „Die meisten Leute sind sehr viel sensibler, wenn sie etwas von Privat ausleihen“, sagt der Stuttgarter Michael Aechtler, der gemeinsam mit seinem Bruder die Plattform Leihdirwas.de betreibt. Er spricht aus eigener Erfahrung: Als überzeugter KoKonsumer leiht und verleiht er selbst Gegenstände auf Leihdirwas.de. Am häufigsten gibt er sein Original Darth-Vader-Kostüm außer Haus. Prinzipiell eigne sich für die Privatausleihe aber alles, was teuer in der Anschaffung ist und selten genutzt wird: Beamer, Werkzeuge, Skiausrüstungen zum Beispiel. Wenig lohnend seinen dagegen Filme und Bücher, so Michael Aechtler.
Damit die Eigentümer ihre Sachen auch wirklich unversehrt zurückerhalten, gibt er seinen Kunden eine Garantie. Die kommt allerdings so gut wie nie zum Tragen. „In neun von zehn Fällen lassen sich Beschwerden oder Reklamationen im gegenseitigen Einvernehmen lösen“, so der Unternehmer. Nötigenfalls zahlt er aber auch für ein kaputtes Verschleißteil. Auch Airbnb kommt über eine spezielle Gastgeber-Garantie für Schäden von bis zu 700.000 Euro auf. Autonetzer hat sich für die Zusammenarbeit mit einer professionellen Versicherung entschieden, die einspringt, wenn es zu einem Umfall kommen sollte. Meist reicht es aber aus, wenn sich die Mitglieder auf eine andere Art der Absicherung verlassen: die Bewertungen der übrigen Nutzer. „Die Bewertungen sind eine wichtige Richtschnur für unsere Mitglieder“, sagt Michael Aechtler. Eine einzige schlechte Bewertung reiche schon aus, um sich selbst beim Rest der Community zu diskreditieren.
Coworking: Zusammen arbeitet man weniger allein
Während es bei den Tausch- und Leihgeschäften mit Konsumartikeln meist darum geht, Geld zu sparen oder nachhaltig zu konsumieren, kommt beim gemeinschaftlichen Wohnen und Arbeiten noch ein dritter Aspekt hinzu: das soziale Miteinander. Wer beispielsweise sein Büro mit anderen teilt, der tue dies nicht selten, weil „ihm zu Hause die Decke auf den Kopf fällt“, sagt Harald Amelung, Betreiber eines Coworking Space im Stuttgarter Westen. „Unsere Mitglieder schätzen den offenen Ort, an dem sie mit anderen zusammenkommen können, an dem aber zugleich Arbeitsatmosphäre herrscht“, so der studierte Informatiker. „Gleichzeitig ist durch den regen Austausch untereinander und die unterschiedlichen Profile unserer Nutzer schon manches spannende Projekt im Coworking entstanden.“ Ein Beispiel: Die Gründer von Autonetzer.de haben ihren ersten Prototyp in den Räumen von Coworking0711 entwickelt.
So schließt sich der Kreis der kleinen, aber feinen Stuttgarter Share-Economy-Szene. Und wir sind um eine Erkenntnis reicher: Teilen kann man fast alles; nur die Erfahrung mit und durch das Teilen von Dingen bleibt immer etwas ganz Eigenes.
Autorin: Michaela Kürschner. Artikel vom 4.6.2013 – ursprünglich erschienen bei der Innovationsagentur für IT und Medien Baden-Württemberg.