Paris. XIX Arrondisment. Parc de la Villette. Im Festzelt des Cabaret Sauvage – was sich als ungezähmtes Kabarett übersetzen lässt, tut sich was an diesem 1. Mai 2013, dem internationalen Tag der Arbeit. Mitglieder und Freunde von OuiShare aus vielen Ländern stehen im Kreis, stellen sich vor und besprechen die Vorbereitungen für das morgige OuiShare Fest: dem ersten großen Europäischen Event das ausschließlich der Collaborative Economy gewidmet ist.
Die Schwierigkeit, den Begriff ins Deutsche zu übersetzen, sagt schon etwas aus. In den nächsten zwei Tagen werden sich unter diesem Zirkuszeltdach, im umgebenden Gelände und auf dem im angrenzenden Canal de Saint-Martin liegenden Eventboat über 650 Entrepreneure & Designer, Maker & Hacker, Ökonomen, Journalisten & interessierte Bürger aus aller Welt zusammenfinden.
Na dann viel Spaß denke ich, den das Cabaret Sauvage scheint noch im Winterschlaf zu liegen. Zubehör eingemottet. Stühle von der Witterung angegriffen. Wird die Technik funktionieren? Viele Fragen. Viel zu tun. Es scheint auch keinen Masterplan, keine Checklisten und keine Verantwortlichen für den heutigen Tag zu geben. Und genau das – so ungewohnt und bedenklich es anfänglich erscheint – macht gerade den besonderen Reiz aus, der von dieser Gemeinschaft bunter Gleichgesinnter ausgeht und eine besondere, fruchtbare Atmosphäre schafft, die ansteckt und zum Mitmachen einlädt.
Etienne Hayem, einer der OuiSharer, verteilt kleine Plastik Chips. Walky Talkies, wie er sagt, die man aus der Tasche ziehen kann, sollte es morgen einmal organisatorisch irgendwo brennen oder nicht so laufen wie gedacht oder gewünscht. Sie sollen dann daran erinnern, das hier jeder sein Bestes gibt und wir auch hier sind um Spaß zu haben. Und jeder gibt sein Bestes, denkt mit und packt zu und so ist am nächsten Tag alles vorbereitet. Alles läuft perfekt, fast wie am Schnürchen, nur authentischer, lebendiger und mitreißender.
Vorbereitung am 1. Mai für den großen Tag
An die 120 Speakers & Facilitators teilen während der ersten zwei professionellen Tagen in über 60 englischsprachigen Präsentationen, Panels, Workshops, BarCamps und anderen Formen der Kommunikation und Kollaboration ihre Expertise, Gedanken und Überzeugungen mit den Interessierten, denen es nicht immer leicht fällt aus dem reichhaltigen bunten Programm ihre Auswahl zu treffen. Events mit den Titeln: The Global Collaborative Consumption Community, Peer-to-Peer Finance and the Future of Banking, Open Governmet Data, Shareable cities, Open Manufacturing: The New Industrial Revolution, The Future is Co. – nur um einige zu nennen – zeigen wie breit das angebotene Spektrum ist. Es reicht von Collaborative Consumption, über Finance & Money, Makers Movement, Open Manufactoring, Open Knowledge bis zu Wirtschaft & Gesellschaft sowie Business & Design.
So unterschiedlich die Themen als auch die Interessen und Hintergründe der Akteure, so scheint doch alles irgendwie durch einen unsichtbaren Faden verbunden und verwoben zu sein. Allen gemein scheint eine erfrischende Neugierde und ein tief empfundener Wunsch an echtem Austausch, Kollaboration, respektvollem Umgang, Gemeinschaft und kreativer, freudenvoller Hinwirkung auf gesellschaftliche Veränderung und Mitgestaltung einer besseren Zukunft. Dieser Geist findet sich ebenso in den vielen zwischenmenschlichen Begegnungen die sich immer wieder spontan und natürlich ergeben.
An zwei anstrengende, aber erfüllende und ertragreicher Arbeitstage schließt sich noch ein Policy Jam der Speakers & Facilitator an, bevor die angemeldeten OuiShare Fest Teilnehmer den professionellen Teil mit einer OuiShare Love Party beschließen, die nicht vor 6 A.M. enden will.
Es folgt am dritten Tag ein Open day mit einem ebenso reichen und abwechslungsreichen Programm. Diesmal meist in französischer Sprache und besonders auf die lokale Bevölkerung zugeschnitten. Die Beiträge reichen von einem Vortrag Bernard Stieglers zur kollaborativen Wirtschaft, über den praktischen Aufbau eines Wikihauses und einem runden Tisch zum Thema foodsharing, bis hin zu DIY Ateliers für Kinder.
Und so endet diese erste große europäische Konferenz zur collaborative economy, die mehr war als nur eine andere Business Konferenz. Vielleicht der Beginn einer Bewegung die – getragen von anderen Werten – sich auf den Weg macht neue Ausdrucksformen auszuprobieren und neue nachhaltige und ganzheitliche Ziele zu definieren in dem Bewusstsein und mit dem Willen ihr Umfeld, die Gesellschaft und die Welt mitgestaltend zu verändern. Es bleibt spannend.
Und was auch bleibt ist ein kleiner blauer Plastik-Chip in der Hosetasche. Ich glaube er ist auf dem OuiShare Fest nie gebraucht worden, aber es ist gut, dass es ihn gibt.
Mehr Berichte, Fotos und Videos von dem Event gibt es auf dem OuiShare Fest Blog und live.ouisharefest.com
Titelphoto von Stephano Borghi
