Gärtnern gegen die Marktwirtschaft: KoKonsum als Alternative zum Turbokapitalismus?

Shoppingstreet in China

Mit der schrittweisen Reformierung der chinesischen Wirtschaft seit den 80er Jahren entstand ein eigenes chinesisches Modell, das zentrale Steuerung und private Freiheiten zu balancieren sucht. Unter dem Namen der „sozialistischen Marktwirtschaft“ wurden Sonderwirtschaftszonen als Versuchsfelder der Marktwirtschaft eingerichtet und ein privates Wirtschaften im gesamten Land möglich gemacht.

Die letzten Jahre der weltweiten Finanzkrise, Bankenrettung und Staatsverschuldungen ließen auch China nicht unberührt. Längst fürchten sich chinesische Fachleute vor dem Platzen nationaler Wirtschaftsblasen – wie etwa auf dem Immobilienmarkt, wo der Glaube an den Wert von Immobilien und das Streben nach Wachstum durch Investition zu neu errichteten Geisterstädten in Chinas weiten Landschaften geführt hat. Ein weiteres Problem sind die massiven Umweltverschmutzungen, die ganze Landstriche und auch die Großstädte betreffen. Weltweite Proteste, wie etwa die Occupy-Bewegung schlagen zwar weniger hohe Wellen, dennoch werden auch in China Fragen nach neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen gestellt.

In seinem Buch „Die Ökonomie von Gut und Böse“ beschäftigt sich der tschechische Ökonom Tomas Sedlacek mit der Entstehung der Ökonomie als philosophisch-mathematischer Disziplin und ihrer unterschiedlichen Wahrnehmung im Laufe der Geschichte. Er zeigt, dass sich wissenschaftliche Exaktheit nur erreichen lässt, wenn man sich von der Realität verabschiedet und wirtschaftliche Fragestellungen gut daran täten sich nicht an der Nutzenoptimierung allein auszurichten, sondern auch die Ethik in all ihrer Ungenauigkeit in die Überlegungen mit aufzunehmen. Der Homo Economicus ist ein wirtschaftliches Fabelwesen, dass in seinem uneingeschränkten Egoismus so nicht existiert. Die aus ihm resultierenden Annahmen, Arbeit sei nur ein Produktionsfaktor, nicht etwa Erfüllung, und Emotionen, Traditionen und unproduktive Beschäftigungen, wie etwa die Kunst oder gar die Geisteswissenschaften, wären der Produktion und damit dem Fortschritt hinderlich, haben sich leider in vielen Köpfen festgesetzt. Sedlacek hält dagegen, dass Nichtstun, sich ausruhen und die Früchte der Arbeit genießen zum wichtigen Bestandteil des Menschseins und damit jeglicher wirtschaftlicher Konstruktionen gehört. Unser Weg des ewigen Fortschritts, der wirtschaftlichen Überhitzung und der endlosen Schuldenaufnahme auch in guten Jahren scheint ja offensichtlich, siehe Wirtschaftskrise etc., nicht zu funktionieren. Sedlacek fragt nach dem Sinn des stetigen Wachstums und den unbegründeten Depressionen wenn die Wirtschaft mal stagniert oder nur gering wächst. Er warnt vor dem Einfluss, den dieser Fortschrittszwang inzwischen nicht nur auf die Ökonomen sondern auf alles Sphären des menschliche Lebens ausübt. Wäre es nicht viel sinnvoller, den Überschuss der guten Jahre aufzusparen, um die Verluste in den schlechteren Jahren auszugleichen? Mal einen Schritt zurückzutreten und uns an dem zu erfreuen, was wir erschaffen haben? Welchen Sinn hat es, in guten Jahren weiter Schulden aufzunehmen, nur um den Fortschritt weiterzutreiben? Sedlacek bezeichnet den Konsum als krankhafte Sucht, derer wir uns nur schwer entziehen können.

Picture of Plastic in the OceanDer Überschuss in dem die Industrienationen leben zeigt sich an den Müllbergen, die wir produzieren. Rachel Botsmann und Roo Rogers diskutieren am Beispiel des „Great Pacific Garbage Patch“, einem von Strömungen im Wasser zusammengetragenen Teppich aus Plastikmüll inmitten des Pazifiks, Fragen nach überschüssigem Besitz, Um- und Wiedernutzung von Gegenständen und dem effizienteren Einsatz von Ressourcen. Die zwei Amerikaner prägten den Begriff des „Collaborative Consumption“, welcher in Deutschland im „KoKonsum“ seine Entsprechung findet. Dabei geht es nicht nur um einen effizienteren Einsatz von Ressourcen und Finanzmitteln sondern auch um die Erfahrung des gemeinschaftlichen Konsums. Botsman und Rogers versuchen in ihrer Publikation „What‘s Mine Is Yours – How Collaborative Consumption Is Changing the Way We Live“ die Gemeinsamkeiten neuartiger Online-Dienste, Nachbarschaftsinitiativen und Sozialer Netzwerke, die in den letzten Jahren entstanden sind, auf den Punkt zu bringen. Sie unterscheiden dabei drei Systeme: Produkt- und Dienstleistungssysteme wie z.b. Car-Sharing, Umverteilungsmärkte wie etwa Ebay und gemeinschaftliche Lebensstile, wozu Dienste wie Couch-Surfing oder Gärtner-Foren zählen. Auch andere Autoren, wie etwa Philippe Aigrain (Sharing) oder Jeremy Rifkin (Access – Das Verschwinden des Eigentums) bemerkten den Wandel von einer besitzenden zu einer teilenden Gesellschaftsform. Die Möglichkeit des „Zugangs“ ersetzt bei vielen bereits das Verlangen nach Besitz und beflügelt neue Geschäftsmodelle. In der Praxis reichen mit KoKonsum assoziierte Aktivitäten von Kleider-Tauschbörsen über Nachbarschaftsgärten bis zu P2P (Peer-to-Peer)-Internetdiensten, wo etwa private Zimmer, Autos oder Kredite verliehen werden.

China gilt vielen als resistent gegenüber diesen neuen Trends, dabei entwickeln sich parallel zu den westlichen KoKonsum-Modellen ähnliche Formen, die zum einen als Reaktion auf aktuelle Geschehnisse zu verstehen sind, zum anderen aber auch tief in der Tradition des Landes wurzeln. So berichten in diesem Jahr chinesische Medien von einem Anstieg urbanen Gärtnerns auf Dächern, in Hinterhöfen und an den Rändern chinesischer Großstädte. Kleine Gärten werden traditionell von vielen Chinesen auch in den Großstädten gepflegt. Die Grenzen des öffentlichen Raumes und der privaten Nutzung sind dabei fließend. Aufgeschreckt durch Lebensmittelskandale der letzten Jahre und steigende Lebensmittelpreise pflanzen nun besonders Rentner und junge Menschen um die 30 häufiger ihr eigenes Gemüse an. Online-Einkaufsdienste wie Taobao (ähnlich Amazon) bieten seit neuestem eigene Gärtnerrubriken an, die ihre urbanen Käufer mit Saatgut, Dünger und Gerätschaften aber auch fertigen Produkten, wie Bio-Gemüse versorgen. Die städtischen Regierungen unterstützen diesen Trend – so gab die Pekinger Regierung 2010 kostenlos Samen und Dünger an urbane Gärtner ab – da sie hierin eine Lösung für Probleme wie hohe Bevölkerungsdichte, Lebensmittelsicherheit, Integration der zugezogenen ländlichen Bevölkerung, Luftverschmutzung etc. sehen. Deutlich zeichnet sich aber ab, dass der Gemüseanbau nicht nur aus Gründen der Lebensmittelsicherheit oder aus finanziellen Gründen geschieht, sondern auch das gemeinschaftliche Erlebnis wird als positiver Nebeneffekt wahrgenommen. So erfährt China steigende Umsätze im Landwirtschafts-Tourismus, wo sich Gruppen oder Firmenbelegschaften fern von ihren städtischen Jobs bei der Ernte auf dem Land erholen.

Als ein entscheidendes Phänomen des KoKonsum wird die steigende Zahl von P2P-Geschäftsmodellen betrachtet. Auch in China sind diese Onlinedienste auf dem Vormarsch. Am stärksten zeigt sich dies im Bereich des Mikrokredits, wo Seiten wie Qifang oder CreditEase zwischen Personen mit finanziellem Bedarf und Geldgebern vermitteln. Shopping-Plattformen wie Taobao geben privaten Verkäufern die Möglichkeit ihre Waren einzustellen. Bei anderen Diensten, wie etwa dem Verleih privater Güter und Waren tun sich die chinesischen Nutzer noch relativ schwer. Als Gründe werden häufig ein mangelndes Vertrauen in den fremden Anbieter benannt, sowie die noch immer starke Verknüpfung von Besitz und Prestige. Dennoch gibt es diverse Kleinanzeigenportale und Online-Marktplätze wie Ganji oder Baixing, wo ein privater Austausch stattfindet. Was allerdings in China eine große Anhängerschaft findet, sind 团购tuangou – Gruppeneinkäufe, die auf Seiten wie Dianping angeboten werden. Ähnlich des amerikanischen Anbieters Groupon muss eine bestimmte Anzahl von Käufern zusammen kommen, damit ein bestimmtes Produkt oder eine Dienstleistung zu einem günstigen Preis gekauft werden kann. Auch zu anderen Anlässen werden gern mal die Kosten geteilt, so gibt es etwa mehr und mehr Hochzeitspaare, die sich zusammentun um die Kosten ihrer Feierlichkeiten zu senken. Gemeinsamkeit im allgemeinen steht unter chinesischen Internetnutzern hoch im Kurs, sie posten, bloggen und streamen nicht nur ununterbrochen über Services wie dem Instantmessenger QQ mit fast 1 Milliarde Nutzern, sondern inserieren auch ihre Aktivitäten auf der Suche nach Teilnehmern. Von Kinobesuchen bis zu Gruppenreisen ist alles dabei.

Autorin: Antje Rademacker, verfasst für die China-Tage 2012 des Konfuzius-Institut in Leipzig.

 

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