Interview mit Blablacar: Vertrauen im Internet – Die Hoffnung auf eine neue ökonomische Ära

Mitfahrgelegenheit

Warum ist es einfacher, Vertrauen in Onlinecommunities zu erzeugen als im „echten Leben“? Und was sind die Faktoren, die diese Entwicklung begünstigen? Anlässlich der Veröffentlichung einer Studie von BlaBlaCar über das Vertrauen von den Communitymitgliedern untereinander hat Antonin (von OuiShare.net) einige Fragen an den Gründer und Geschäftsführer von BlaBlaCar (covoiturage.fr), Frédéric Mazzella, gestellt. (Dieses Interview wurde ursprünglich in englischer Sprache auf dem Blog consocollaborative.com veröffentlicht)

 

Sie haben soeben eine Studie über das Vertrauen Ihrer Mitglieder untereinander veröffentlicht. Was sind deren markanteste Ergebnisse?

Es ist einfach phänomenal, wenn man darüber nachdenkt. Das Vertrauen stellt einen großen Wert für die Gesellschaft dar, aber es ist nur sehr schwer zu erzeugen. Seit Jahrtausenden baut die menschliche Gesellschaft auf dem Vertrauen, das zwischen Menschen besteht, die etwas miteinander teilen: ein Ort, ein Gebiet, eine familiäres Band. Denn das Vertrauen erlaubt uns, effektiv miteinander zu kooperieren. Und die Studie zeigt, dass es jetzt eine neue Art von Vertrauen gibt: Vertrauen in Onlineprofile. In einer Situation wo es zuvor keinerlei Möglichkeit gegeben hat, Vertrauen zwischen zwei Menschen zu erzeugen – keinerlei Gemeinsamkeiten und keine geteilten Interessen – dort kann jetzt Vertrauen entstehen aufgrund von Onlineprofilen.

 

„Wo es Vertrauen gibt, dort kann Zusammenarbeit geschehen. Dort kann Mehrwert kreiert werden.“

 

Dies ist kein inkrementeller Wandel der Gesellschaft – es ist nicht nur ein bisschen mehr oder besser als das bisher dagewesene – es ist vielmehr ein tiefgreifender Wandel. Nichts wird je wieder so sein wie zuvor. Das Fundament der Gesellschaft – zwischenmenschliches Vertrauen – existiert nun nicht mehr nur in kleinen Kreisen, sondern durchdringt die gesamte Gesellschaft. Damit wird auch das Potential für Kollaboration und Wertschöpfung zum Positiven verändert.

 

Was ist der Grund dafür, warum wir jetzt also Personen mit lückenlosen Onlineprofilen mehr vertrauen als unserem Nachbarn?

Es ist faszinierend. Denken wir einmal darüber nach, was Vertrauen in der Theorie bedeutet. Vertrauen heißt, dass es eine großer Wahrscheinlichkeit dafür gibt, dass die Interaktion mit einer anderen Person positive Ergebnisse erzeugt. Oder anders gesagt: Man hält die Wahrscheinlichkeit für gering, dass die Interaktion mit einer anderen Person negativ ausfällt! Es ist genau dasselbe. Vertrauen ist die persönliche Einschätzung über mögliche positive Resultate. Kurzum: man denkt, dass es klappen wird.

Aber wir können das Resultat von zukünftigen Interaktionen mit anderen Personen nur dann vorhersehen, wenn wir zuverlässige Informationen haben, auf Grundlage derer wir diese Einschätzung treffen können. Die Antwort zu der Frage ist also ganz einfach: Wir vertrauen Personen mit vollständigen Onlineprofilen mehr als unseren Nachbarn, weil wir mehr über den Onlinenutzer wissen. Mehr Information heißt mehr Vertrauen! Vertrauen in jedweder Gemeinschaft wirkt interaktionsfördernd. Kein Vertrauen hingegen bedeutet keine Interaktion.

 

„Was unsere Studie zeigt ist, dass vorangegangene Interaktionen ein zuverlässiger Gradmesser für eine zukünftige Interaktion sind.“ 

 Europa groß

Wenn ein Mitglied erfolgreich Mitfahrgelegenheiten in der Vergangenheit durchgeführt hat (wofür wir auf der Webseite Nachweise habe, d.h. Bewertungen durch andere Mitglieder), dann erscheint dieses Mitglied als vertrauenswürdig. Wenn man die Bewertungen eines Mitglieds einsehen kann, erhöht dies das Vertrauen in die Annahme, dass eine Interaktion mit diesem Mitglied positiv verlaufen wird. Streng genommen bezieht sich das in unserer Studie untersuchte Vertrauen nur auf die spezifische Aktivität einer Mitfahrgelegenheit und diese Erkenntnisse dürfen daher nicht verallgemeinert werden. Aber dennoch zeigt sie, dass es möglich ist, zwischenmenschliches Vertrauen zu erzeugen, wo zuvor keines existierte.

Die Fähigkeit, online Vertrauen zu erzeugen, ist ein echter Paradigmenwechsel für die gesamte Gesellschaft.

 

Woher stammt dieses Vertrauen?

Die Studie zeigt, dass das Vertrauen in der BlaBlaCar Community auf den folgenden Kriterien basiert (nach aufsteigender Bedeutung organisiert): ein Foto (Vertrauenswert 2.5), bestätigte Kontaktdetails (Vertrauenswert: 3.2), positive Bewertungen (Vertrauenswert 3.4). Wenn alle diese Kriterien erfüllt sind, steigt der Vertrauenswert auf 4.25. Zum Vergleich: Nachbarn erzielen nur einen Vertrauenswert von 3.3, Freunde und Familie liegen bei 4.7. Daher kann man schlussfolgern, dass Vertrauen das Zusammenspiel mehrer Faktoren ist. Aber wenn wir einen einzelnen Faktor hervorheben sollten, dann ist das ohne Zweifel die gegenseitige Bewertung. Das ist das bedeutendste Kriterium, anhand dessen man die Wahrscheinlichkeit einer positiven Interaktion, d.h. Vertrauen, messen kann.

 

Wer ist Trustman?

Es gibt nicht nur einen Trustman. Wir sind alle Trustman.

Trustman hat keine mystischen Kampfkunstfertigkeiten wie Batman oder ist von einem anderen Planeten wie Superman. Die Quelle von Trustmans Superkräften sind einfach nur seine Vertrauensprofile auf Peer-to-Peer Websiten aller Art, von Car Sharing bis zu Skill Sharing. Sie erlauben ihm, sein Leben zu bereichern, indem sie Werte für ihn selbst und für die Gesellschaft schaffen. Einerseits erscheint Trustmans Eigenschaft „vertrauenswürdig zu sein“ trivial für einen Menschen, denn wir alle besitzen diese. Aber auf der anderen Seite ist es fantastisch, anhand von Onlineprofilen essentielle Bestandteile des täglichen Lebens wie z.B. Autos oder Unterkünfte zu teilen oder vermieten zu können, Dinge, Häuser und Fähigkeiten auszutauschen, und crowdfunding, crowdsourcing und tausendfache Zusammenarbeit darüber zu organisieren: Alles Dinge, die uns nicht nur Geld sparen lassen, sondern auch unser Leben bereichern.

Warum ist er ein Superheld? Wovor wird er uns retten?

Trustman ist ein neuer Superheld für eine neue ökonomische Ära. Vertrauen gehört zu den essentiellsten inneren Einstellungen, die wir gegenüber unseren Mitmenschen haben können, denn es eröffnet uns die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten von Kollaboration und Kooperation, zum Vorteil aller.

„Trustman ist das Symbol für eine neue, kollaborative Verhaltensweise und deren positive Resultate, die wir gerade erst zu sehen bekommen.“

Trustman steht für unsere Version von der Hoffnung auf eine kollaborative Zukunft.

 

Planen Sie die Einführung von vertrauensspezifischen Produkte oder Dienstleistungen? Wird Trustman zu BlaBlaTrust?

 

Trustman ist eine Metapher, kein Feature. Wir wollten Menschen aus den Medien, aus dem IT-Bereich und aus der Szene des kollaborativen Konsums dazu bringen, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Da Vertrauen so wichtig ist für BlaBlaCar und alle anderen Peer-to-Peer Dienstleistungen, und aufgrund unseres Erfolges eine vertrauenswürdige Online Community von mehr als 3 Millionen Mitglieder in Europa aufzubauen, dachten wir, dass wir etwas beitragen könnten zu dem Bewusstsein und dem Verständnis dieses wichtigen Themas. Wir wollten unsere Einsichten und Daten teilen, welche zentrale Rolle Vertrauen in der BlaBlaCar Community einnimmt.

 

Ist Mitfahren das Tor zu anderen Arten des Teilens? Sind Mitglieder Ihrer Community eher geneigt, andere Sharing Dienstleistungen zu nutzen?

 

Ja, ein Teil unserer Community begann damit, andere kollaborative Online Dienstleistungen zu benutzen, nachdem Sie Mitglied bei BlaBlaCar wurden (zwischen ein bis sechs Prozent). Dies suggeriert, dass Mitglieder durch das Nutzen von BlaBlaCar auf die Vorteile kollaborativer Verhaltensweisen aufmerksam gemacht werden und offener sind, neue Dinge in diesem Bereich auszuprobieren.

Interessanterweise zeigt unsere Studie auch, dass wenn die angebebene Bereitschaft eines Mitglieds gering war, andere kollaborative Verhaltensweisen auszuprobieren (Crowdfunding und Peer-to-Peer Autovermietung), auch die Kenntnisse darüber gering waren. Dieses Resultat suggeriert eine Korrelation zwischen den tatsächlichen Kenntnissen in einer Bevölkerung und deren Bereitschaft, neue Verhaltensweisen auszuprobieren. Dies ergibt auch Sinn, denn während Kenntnisse notwendigerweise bewusstem Handeln auf der persönlichen Ebene vorausgehen, ist ein generelles gesellschaftliches Bewusstsein notwendige Voraussetzung für eine Verhaltensänderung en masse. Diese These stimmt mit unserer Erfahrung bei BlaBlaCar überein, wo generelles gesellschaftliches Bewusstsein und mediale Darstellung der Schlüssel für die Akzeptanz des Mitfahrens sind.

„Dies sind wichtige Daten für die Akteure der kollaborativen Ökonomie, denn sie zeigen, dass wir zusammenarbeiten können – und müssen – um das Bewusstsein für die verschiedenen kollaborativen Plattformen sektorübergreifend zu stärken, von Übernachtungsmöglichkeiten zum Transport, zu Finanzierungen und darüber hinaus.“

BlaBlaCar-Gruuenderteam

Frédéric Mazzella ist der Gründer und Vorstandsvorsitzende von BlaBlaCar. Das im Jahre 2004 als eine Nebenbeschäftigung gegründete Startup hat eine kritische Masse von Nutzern in Frankreich 2010 erreicht. Das Unternehmen wächst jetzt exponentiell in ganz Europa (mit über 100,000 neuen Nutzern pro Monat ist es eines von den zwei am schnellsten wachsenden Mitfahrnetzwerken weltweit.

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